Allianz gegen Rechtsextremismus in der Europäischen Metropolregion Nürnberg (2/3)
Shownotes
Seit 2009 ist die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg aktiv und wendet sich insbesondere gegen alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit. Aktuell gehören 165 Städte, Gemeinden und Landkreise sowie 322 zivilgesellschaftliche Organisationen und Institutionen dem Netzwerk an und die Mitgliederzahl wächst kontinuierlich. In dieser Folge sprechen wir über die Herausforderungen dieser Arbeit, erfolgreiche Projekte wie den Demokratiekoffer und warum ein Demokratiefördergesetz in Bayern durchaus angebracht wäre. Ein Gespräch über lokales Engagement gegen Rechts, produziert von der Petra Kelly Stiftung in Bayern.
Ein Podcast mit:
- Stephan Doll, Vorsitzender der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Europäischen Metropolregion Nürnberg
- Carmen Romano, Petra-Kelly-Stiftung e.V.
Shownotes:
Allianz gegen Rechtsextremismus in der Europäischen Metropolregion Nürnberg
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Mandy Schielke: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge der Reihe Böll.Regional, in der wir euch Projekte aus verschiedenen Bundesländern vorstellen. Diese Staffel dreht sich um gute Praxisbeispiele gegen Rechts und Ideen, wie ihr aktiv werden könnt.
Carmen Romano: Ich bin Carmen Romano von der Petra-Kelly-Stiftung in Bayern und heute reden wir online mit Nürnberg, wo Stephan Doll gerade sitzt. Er ist Vorsitzender der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg. In einem früheren Podcast der Petra-Kelly-Stiftung über die Querdenkerbewegung in Bayern haben wir erfahren, dass Franken und insbesondere die Metropolregion Nürnberg eine aktive rechte Szene hat. Umso erfreulicher ist es, dass es seit 2009 die Allianz gegen Rechtsextremismus gibt, die sich insbesondere gegen alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie Demokratiefeindlichkeit wendet. Aktuell gehören 165 Städte, Gemeinden und Landkreise sowie 322 zivilgesellschaftliche Organisationen und Institutionen dem Netzwerk an und die Mitgliederzahl wächst kontinuierlich, was uns natürlich sehr erfreut. Ja, guten Morgen Herr Doll, vielleicht möchten Sie zuerst einleiten, wie ist die Allianz gegen Rechtsextremismus in der europäischen Metropolregion Nürnberg genau entstanden und aus welchen Bedürfnissen und Vorgeschichten?
Stephan Doll: Ja, die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg ist entstanden. Es hat in Gräfenberg, das ist eine kleinere Gemeinde vor Nürnberg, Richtung Fränkische Schweiz, also schon in der Fränkischen Schweiz, ist die NPD im Endeffekt monatlich öfters zu einem sogenannten Kriegerdenkmal gegangen und hat da sozusagen diese Gemeinde tatsächlich wöchentlich, monatlich überrannt. Und da ist die Idee entstanden, dass man eben auch, wenn Rechtsextremisten, Nazis eben in Gemeinden, in kleineren Gemeinden auch auftreten, dass man da solidarisch miteinander umgehen muss und dass man nicht diese Gemeinden alleine lassen kann. Weil natürlich, dass sowohl die Zivilgesellschaft sozusagen, als auch die demokratischen Politiker und Politikerinnen überfordert, wenn jede Woche, jedes Monat praktisch Neonazis im Ort auflaufen. Und das war so die Initialzündung und da ist die Allianz entstanden und hat dann auch praktisch damals in Gräfenberg Aktionen gemacht, gemeinsam mit den Organisatorinnen und Organisatoren vor Ort. Und so ist die Allianz entstanden und gewachsen. Vielleicht noch zwei Sätze zur Allianz. Das eine ist, dass die Allianz, es gibt ja viele Bündnisse, das größte regionale Bündnis in der Bundesrepublik ist, Sie haben ja die Mitgliederzahlen gesagt, das ist das eine, nämlich was die Mitgliederzahl betrifft, das zweite ist, dass es tatsächlich die gesamte Metropolregion ist, also große Fläche, sonst sind die ja Bündnisse tatsächlich eher auf Ortschaften begrenzt oder auf Städte. Und der dritte Punkt ist, dass tatsächlich wir eine Besonderheit auch noch haben, nämlich dass Gebietskörperschaften und Zivilgesellschaft in einer Organisation sind. Also dass tatsächlich eben Gemeinden, Städte bei uns Mitglied sind, aber eben auch zivilgesellschaftlich sehr breit. Vielleicht noch einen Satz zur Breite der Zivilgesellschaft. Also wir haben tatsächlich von kirchlichen Organisationen bis zu Organisationen von Schwulen und Lesben, Migrantenorganisationen, wir haben Organisationen von Gewerkschaften, wir haben auch Arbeitgeber dabei. Also wir sind sehr, sehr breit, will ich damit sagen, vielleicht auch sehr ungewöhnlich. Also die Spielvereinigung Greuter Fürth und der 1. Fußballclub Nürnberg sind bei uns auch Mitglied. Also ich will damit sagen, es sind nicht nur Organisationen, die schon traditionell, in Anführungszeichen, "nur" im Kampf gegen Rechts sind, sondern wir sind dort sehr breit und ich glaube, das zeichnet uns auch aus und gibt da andere Möglichkeiten, weil wenn man in einem Fußballstadion was macht, erreicht man sicherlich andere Zielgruppen, als wenn man so eine Demo aufruft.
Carmen Romano: Ja, bestimmt. Das finde ich total spannend, sehr inspirierend. Das verknüpft sich ganz gut mit meiner nächsten Frage, was eure Vision ist, auch von der Art der Zusammenarbeit, die Sie gerade geschildert haben und eurer Hauptziele insgesamt.
Stephan Doll: Also das eine ist tatsächlich, die Vision ist, dass wir noch breiter und noch größer werden wollen. Wir wachsen ja, Sie haben es ja gesagt, wir streben an, bis Anfang nächsten Jahres über 500 Mitglieder zu haben. Aber wir wollen natürlich auch die Mitglieder aktivieren. Da sind wir gerade zu einem sehr starken Prozess, weil wir natürlich wie überall in jeder Organisation Mitglieder haben, die sind aktiver und andere sind weniger aktiv. Wir wollen insgesamt darüber reden, wie wir unsere Mitglieder gemeinsam noch mehr aktivieren und unterstützen können. Also das ist sozusagen ein Punkt und wir wollen auch noch mal versuchen, gerade auch aufgrund der Wahlergebnisse sowohl in Bayern, das wurde ja schon vergessen, die Landtagswahl in Bayern, aber auch in den östlichen Bundesländern wollen wir versuchen, noch mal mehr zielgruppenspezifisch was zu machen. Also wir machen insgesamt was sozusagen in der Breite mit Kundgebungen, Demonstrationen, Veranstaltungen, aber wir wollen auch noch mal mehr tatsächlich auf Zielgruppen zugehen. Zum Beispiel haben wir da angefangen, das ist eine Kampagne mit anderen. Also wir machen auch immer Kooperationsveranstaltungen. Das ist Frauen gegen Rechts X und das ist eine Kampagne, die in den sozialen Medien läuft, hat auch eine Veranstaltung praktisch tatsächlich im Präsent gemacht und da versuchen wir nochmal die Frauen zu informieren und damit auch zu aktivieren, was es eigentlich heißen würde, dass wenn Rechtsextremisten tatsächlich mächtiger werden oder tatsächlich sogar in der Regierung sind. Und da werden Aussagen, Parteiaussagen, aber auch persönliche Aussagen von rechtsextremen Parteien, werden da praktisch dargestellt und dann antworten eben Kolleginnen, das sind zu 99 Prozent Frauen, antworten darauf praktisch sozusagen, was das bedeutet, wenn eben die AfD oder andere Organisationen aus dem rechten Spektrum auf einmal hier an der Macht und der Regierung sind.
Carmen Romano: Ja und welche anderen Zielgruppen möchten Sie erreichen oder haben sie im Visier sozusagen?
Stephan Doll: Also das glaube ich liegt auf der Hand, dass man natürlich sich auch noch mal mehr junge Menschen, Erstwählerinnen kümmert, aber auch tatsächlich junge Wählerinnen, weil wir das Problem bei allen Wahlen haben, dass inzwischen die rechtsextreme AfD bei den Jüngeren tatsächlich Wahlergebnis bis zu 30 Prozent hat und da wollen wir zum Beispiel auch auf die Zielgruppe. Wir wollen aber auch noch mal tatsächlich auch auf die Zielgruppe noch mal hinaus, nämlich Menschen, die wollen wir nochmal extra diskutieren, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, sozusagen, weil wir auch da auch das haben praktisch, dass auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte - und die wählen dürfen - wir wissen ja sozusagen auch EU-Bürgerinnen dürfen ja bei der Bundestagswahl leider nicht wählen, die nicht keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Also auch auf die Gruppe wollen wir noch mal zugehen, weil es eben da auch tatsächlich, ich sage mal, Zuwanderungsgeschichte schützt auch nicht davor, dass man nicht rechtsextrem werden kann.
Carmen Romano: Nee, absolut. Nee, Und das ist total relevant jetzt auch mit dem neuen Staatsangehörigkeitgesetz, wo viele jetzt endlich durch diese Doppelstaatsangehörigkeit auch die Deutsche erwerben werden.
Stephan Doll: Das ist der Hintergrund auch.
Carmen Romano: Ja, und das verstehe ich total. Also auch in unserer Bildungsarbeit. Wir sind beispielsweise auch auf TikTok eingestiegen, um eine jüngere Zielgruppe zu erreichen und auch diese Reclaim-TikTok-Kampagne mitzumachen. Ja, ganz spannend. Das zeigt einfach die Herausforderungen unserer Zeit. Aber vielleicht noch etwas Positiveres. Ich habe ja von eurer Aktion erfahren, den sogenannten Demokratie-Koffer. Möchten Sie das vielleicht, also dieses Projekt genauer schildern? Könnte ja als Inspiration auch für weitere Organisationen dienen.
Stephan Doll: Das mache ich sehr gerne, weil es tatsächlich ein sehr schönes und ein sehr erfolgreiches Projekt ist. Aber ich kann dazu auch gleich sagen, was die Problemlagen sind, nämlich weil es auch viele ausdrückt. Also die Idee ist gewesen, dass wir tatsächlich einen haptischen Demokratiekoffer haben, den man für Bildungsarbeit zur Verfügung stellen kann, ob von der Erwachsenenbildung bis hin praktisch, aber auch Jugendgruppen und Jugendverbänden, aber auch, dass wenn jemand mal am Stammtisch was machen möchte, wo man kurz und knackig einfach mal was zum Thema. Und da ist ein Demokratie-Bingo dabei, es ist ein Quiz dabei. Also ich würde damit sagen, wir haben auch da überlegt, anders nochmal Zielgruppen zu erreichen, möglichst mit einem niederschwelligen Angebot. Und das ist tatsächlich ein sehr schöner haptischer Koffer geworden. Das gibt es auch bei uns auf der Homepage der Allianz. Da kann man verschiedene einzelne Elemente praktisch sich auch anschauen oder auch runterladen. Also das ist sehr erfolgreich. Wir haben immer noch eine Riesen-Warteliste für diesen Koffer. Dieser Koffer ist inzwischen auch in der ganzen Bundesrepublik angefordert worden. Das liegt auch daran, das ist das Schöne gewesen, wir sind tatsächlich auch ausgezeichnet von der deutschen Fernsehlotterie und da sind wir vorgestellt worden. Das war auch eine schöne Aktion, weil wir haben das nämlich damals gemacht, diesen Koffer vorgestellt. Das war beim Derby, nämlich des ersten Fußballclubs Nürnberg, gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth, das ist ja ein Städte-Duell sozusagen von Nachbarschaftsstädten. Und es war ein ausverkauftes Stadion. Und wir haben dieses Projekt tatsächlich da vorgestellt auch nochmal. Also da ist ein Film gedreht worden im Zusammenhang mit diesem Fußballspiel und da haben wir auch dieses Spiel mit jungen Menschen, auch mit Fans, gespielt. Und das ist dann im Fernsehen gesendet worden. Und damit haben wir den Erfolg gehabt, dass es tatsächlich bundesweit dieser Demokratiekoffer angefordert worden ist. Aber wie das so oft ist, es ist ein schöner Erfolg. Aber auch das hat uns wieder aufgezeigt, was für Probleme lagen wir eigentlich tatsächlich in Bayern, aber auch im Bundesgebiet haben. Also, dass man nämlich solche Projekte nicht dann so weiterführen könnte, wie wir tatsächlich das auch bräuchten und wo es auch den Bedarf gibt, wie man sieht. Also, wir haben immer noch eine Warteliste von mehreren hundert Koffern. Aber die Problemlage ist, ja, wir konnten uns das dann finanziell nicht mehr leisten, diese Koffer weiter zu produzieren, weil das sind auch unter ökologischen Gesichtspunkten, also das sind tatsächlich auch recyceltes Material. Das wird zusammengebastelt auch, also in diesen Koffer, tatsächlich aus festem Karton und ist von daher wirklich nichts mit Plastik oder sonst was. Auch ddaran haben wir gedacht. Und dieser Koffer kostet halt auch Zeit, den zu erstellen, kostet Geld, das Material auch drucken zu lassen. Und das haben wir beides sowohl personell als auch finanziell nicht. Also man sieht an diesem Beispiel, ich glaube das gilt insgesamt, wir haben viele Projekte, wo wir die Demokratie stärken könnten, aber es fällt einfach an Ausstattung und darum wäre natürlich ein Demokratiefördergesetz sowohl in Bayern wie im Bundesgebiet, da steht es ja im Koalitionsvertrag, ist aber bis heute nicht verwirklicht, absolut wichtig und sinnvoll, weil wir diese Projekte mehr brauchen, aber wir haben eben leider nicht die Kapazitäten und die Rechtsextremen wie die AfD haben immer mehr Kapazitäten durch die Wahlerfolge. Also es ist tatsächlich ein Problem, dass wir als Zivilgesellschaft da eigentlich nur noch hinterher rennen, weil die AfD so eine Ausstattung hat.
Carmen Romano: Ja, das ist total spannend zu hören, weil gerade natürlich in Thüringen, Sachsen und Brandenburg groß die Rede ist, dass die Finanzierung für solche Demokratieprojekte entzogen wird. Das ist das große Risiko, das große Angst von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Und es ist aber auch gut zu wissen, dass selbst in Bayern, wo die AfD Gott sei Dank noch nicht so große Erfolge erreicht hat, obwohl sie haben das schon erwähnt in der letzten Landtagswahl, haben auch zugenommen, dass man sollte schon früher damit anfangen und solche Projekte verstärkt führen.
Stephan Doll: Ja, absolut. Nach der letzten Landtagswahl haben wir einen offenen Brief an alle demokratischen Parteien geschrieben, auch an den Ministerpräsidenten, wo es darum gegangen ist, dass wir als Allianz vorgeschlagen haben, dass wir sowas wie einen runden Tisch oder eine Taskforce, wie immer man sie nennen möchte, einrichtet, wo man die Vertreter, Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, sozusagen der demokratischen Parteien, gemeinsam an den Tisch kommen, was man jetzt eigentlich machen könnte, nämlich die Demokratie zu stärken und den Kampf gegen Rechtsextremisten gemeinsam zu führen. Das ist leider bis heute sozusagen nicht passiert. Die bayrische Staatsregierung hat eine Demokratie-Viertelstunde bekanntermaßen eingerichtet. Gut, wenn das die Antwort ist darauf, was wir für ein Rechtsruck in Bayern auch haben und welche Entwicklung wir haben, das ist dann doch noch etwas für die Luft nach oben, wenn ich das vorsichtig ausdrücken darf. Wir sind damit nicht zufrieden, weil es wäre wichtig jetzt tatsächlich auch zu diskutieren, was kann man alles machen. Und da gehört tatsächlich auch dazu so ein runder Tisch und da haben wir auch Vorschläge gemacht, wie gesagt ein Demokratiefördergesetz für Bayern, wo auch die Zivilgesellschaft gestärkt und unterstützt wird, auch finanziell praktisch. Das wäre jetzt das Gebot der Stunde, aber es passiert leider nicht.
Carmen Romano: Ja, das ist total spannend auch zu sehen, ob sich jetzt seit der jüngsten Wahlergebnisse sich was geändert hat. Wir haben ein fast das ganze Jahr hinter uns, wo emotional, sagen wir mal, auch in der zivilgesellschaftlichen Wahrnehmung so ein Höhe und Tiefe man gespürt hat Anfang des Jahres mit den großen Demokratiedemos aber jetzt mit dem Wahlergebnis in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und auch in Österreich. Ist die Stimmung natürlich nicht so rosig, sagen wir mal. Hat das auch einen Einfluss auf Ihre Arbeit gehabt? Keine Ahnung, ein Zustieg auf Interesse für Ihre Projekte? Oder wie haben Sie das erlebt?
Stephan Doll: Also das eine ist, das ist tatsächlich, wir müssen ja bei dem Thema, glaube ich, alle als Demokrat*innen schauen, das Positive, was Sie gesagt haben, das will ich ausdrücklich noch mal unterstreichen. Wir hatten Anfang des Jahres die größte Bewegung gegen Rechts und für Demokratie, die es jemals in der Bundesrepublik gegeben hat. Das ist äußerst positiv, das darf man nicht vergessen und auch nicht kleinreden, aber ich glaube, was auch ein Punkt ist und das war damals auch für uns, wir hatten ja auch eine Großdemo organisiert mit über 25.000 Menschen, dass tatsächlich, wie schafft man das nachhaltig auch, dieses Demokratie-Engagement zu machen, weil ich glaube, wir sind halt in Zeiten, es reicht nicht nur, dass man sagt, wir wählen eben nicht Demokratiefeinde und man geht einmal auf die Straße, sondern ich glaube, und das ist der Punkt, wo wir noch mehr hinkommen müssen. Die Zivilgesellschaft braucht Zivilcourage. Die muss am Arbeitsplatz, die muss in der Straßenbahn, in der U-Bahn oder auch am Stammtisch oder im Sportverein etc. Etc. Die muss man deutlich machen, dass es hier Grenzen gibt, wenn es nämlich Menschenfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit geht.
Carmen Romano: Mhm
Stephan Doll: Ich glaube, den Schritt, den müssen wir noch viel mehr gehen, weil wir tatsächlich inzwischen oft haben, dass unwidersprochen auch bleibt, wenn eben menschenfeindliche Äußerungen kommen und gerade auch aktuell bei dem Thema Geflüchtete. Ich glaube, da brauchen wir viel mehr nochmal die Zivilgesellschaft, aber auch die Parteien, die ganz deutlich nochmal machen, dass man eben nicht den Rechten hinterher läuft, sondern dass man da tatsächlich steht, für was stehen wir eigentlich und was steht bei uns eigentlich im Grundgesetz, nämlich Artikel 1, der wird dann doch sehr oft vergessen. Da steht nicht drinnen von wegen, alle Deutschen sind gleich und alle Deutschen haben sozusagen Würde, sondern es steht drinnen alle Menschen praktisch. Ja. Und das wird oft vergessen und ich glaube in die Richtung müssen wir viel mehr gehen und da müssen wir den Rechtsextremisten tatsächlich deutlich auch nochmal mehr die Kante zeigen. Und Ich finde es falsch, wie es gerade aktuell läuft, weil sie die Wahlergebnisse angesprochen haben. Ich würde mir wünschen, dass alle demokratischen Parteien tatsächlich erst einmal aufhören damit, dass man, das findet unterschiedlicher Stärken statt, dass man nämlich das Thema Geflüchtete, Integration und das Thema islamistischen Terror, dass man das einfach in einem Topf macht und unterrührt und dann gibt es Maßnahmen, sondern diese Themen gehören getrennt, gehören auch mit kühlem Kopf tatsächlich diskutiert und das finde ich sozusagen für falsch, wie das gemacht wird und dann gibt es ja irgendwelche Maßnahmen, wo man sich frägt, ja sozusagen auch als Bürgerin oder als Bürger nämlich, was soll das eigentlich? Wenn jetzt jemand in Bayern täglich an der Grenzkontrolle steht, auch zukünftig noch mehr, macht das irgendwo einen Sinn? Und ich glaube, es ist aber auch nochmal wichtig, das vermisse ich auch immer, sich die Wahlkämpfe jetzt anschauen, und das gilt sowohl für Bayern als auch in Österreich oder auch in den östlichen Bundesländern, dass man nämlich die demokratischen Parteien schlichtweg mehr eigene Themen setzen müssen und nicht eben die Themen setzen lassen von der AfD oder eben von der FPÖ und versuchen hinterher zu rennen oder manche noch versuchen, sie zu überholen. Ich meine, es gibt ja jetzt auch diese Studie, ich meine, das wissen wir alle, aber das finde ich nochmal gut, dass es diese Studie gibt, die europaweit gemacht worden ist, wo es nämlich nochmal heißt, was passiert eigentlich, wenn demokratische Parteien versuchen, den rechtsextremen Themen und die demokratiefeindlichen Themen zu besetzen, die von gesetzt werden, dass dann eins passiert, dass nämlich die Rechtsextremen, dass es original gewählt wird, dass die gewinnen, wenn die demokratischen Parteien versuchen, diese Themen in Wahlkämpfen auch noch zu besetzen. Und ich glaube, das ist eine Diskussion, die müsste in allen demokratischen Parteien jetzt stattfinden, gerade Richtung Bundestagswahl, die wir nächstes Jahr haben.
Carmen Romano: Absolut. Vielleicht Sie können mir gerne den Link von dieser Studie schicken, dann packen wir alles in den Shownotes, genauso wie die Verlinkung zu dem Demokratiekoffer. Aber ja, ich finde es total spannend, weil das war auch meine Erfahrung, dass nach diesen großen Demos einfach eine Art fast so Frustration in Luft geblieben ist. Viele Menschen haben sich gefragt, und jetzt, was kann ich tun praktisch? Und da finde ich ihren Vorschläge ganz konkret und gut, sich in dem Alltagsbereich quasi für Demokratie einzusetzen. Da kann ich mich gut vorstellen, dass wenn man einen Demokratiekoffer ergattern kann, dann auch ein paar so Argumentationspunkte und Hilfestellungen hat. Kommen wir jetzt zum Ende, um eben auch in Richtung sich engagieren und was Praktisches und zwar wie kann man konkret Mitglied von ihren Allianzen werden oder sich bei ihnen engagieren und was wünschen sie sich vielleicht für die Zukunft abseits von einem Demokratiefördergesetz wie Sie vorher angesprochen haben?
Stephan Doll: Also Mitglied können bei uns Organisationen werden. Das ist nicht Einzelpersonen, sondern Organisationen. Und das ist sehr breit. Es kann im Endeffekt jede Organisation, also es muss keine juristische Person sein. Es können Vereine etc. Alles bei uns Mitglied werden. Es ist auch sehr bunt und es funktioniert relativ einfach. Es gibt ein Antragsformular auf unserer Homepage und das kann man herunterladen und dann gibt es ein demokratisches Gremium, das Koordinierungsgremium. Das entscheidet praktisch sozusagen über die Aufnahme und bisher hat es nur wenige Fälle gegeben, wo es zu Diskussionen geführt hat. Also von daher ist das sozusagen eine Geschichte, die eigentlich relativ einfach führt. Was man auch machen kann, ist natürlich, ich habe die Finanzen angesprochen, wir sammeln tatsächlich auch sehr eifrig freiwillige Mitgliedsbeiträge und Spenden, gerade Richtung Bundestagswahl tatsächlich. Wir wollen da viele Aktivitäten, Veranstaltungen machen. Da braucht man einfach andere Finanzen, Mittel und Ressourcen, die wir dann nächstes Jahr einsetzen. Was sozusagen tatsächlich jeder, jede Einzelne machen kann. Es gibt in dem Demokratiekoffer auch ganz verschiedene Angebote, nämlich zum Beispiel auch für Eltern oder auch für Partner*innen, wenn praktisch sozusagen eins passiert, dass der Partner oder die Partnerin oder das Kind sozusagen das Gefühl hat, es driftet mir irgendwie nach rechts ab und da passiert was, da gibt es sozusagen auch noch mal Angebote, an wen kann man sich noch mal wenden zur Unterstützung. Also die Allianz ist jetzt nicht praktisch für jedes Themengebiet sozusagen die Fachstelle, aber es gibt ja Fachstelle, wo wir praktisch dann auch sozusagen vermitteln können und da ist eben eine sehr schöne Broschüre drin, was auch relativ einfach geht, nämlich auf einer Seite lauter QR-Codes sind, an Stellen, wo man sich noch mal wenden kann, wenn man genau so eine Bedrohungslage hat, wo man meint, ja, es trifft jetzt jemand ab. Oder auch, wenn man sich tatsächlich jemand ist, der feststellt, dass er immer mehr rechtsextreme Angriffe kriegt. Wir haben ja zuerst über die sozialen Medien gesprochen. Sei es über die sozialen Medien, sei es persönlich, auch da haben wir sozusagen nochmal einfach ein gebündeltes vernetzt, an wen kann man sich auch noch mal wenden und für Unterstützung. Ja, ich glaube, was wichtig ist, sich einfach für die Demokratie zu engagieren, sei es in Vereinen, sei es in Verbänden, sei es in Parteien, aber tatsächlich auch sich auch zu engagieren für die Demokratie. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Das brauchen wir gerade in Zeiten wie diesen. Ich habe auch bei diesen Großdemos immer gerne Berthold Brecht zitiert, nämlich der gesagt hat, 1928 hätten wir 1933 noch verhindern können. 1933 war es zu spät und ich bin jemand, der hat die letzten Jahre nie diesen Vergleich gemacht, seit einem Jahr schon. Ich finde, wir sind auf dem Weg zumindest zu 1928, wenn nicht sind wir schon bei 1928. Und jetzt geht es darum, unsere Demokratie zu verteidigen, weil wir haben die Situation, und ich glaube, es ist immer noch nicht bei allen angekommen, das ist ja eine komische historische Parallele, dass in Thüringen, wo die NSDAP das erste Mal an der Macht beteiligt war, sprich an der Regierung, dass sie da sozusagen die stärkste Fraktion auch stellt. Und Höcke ist ein Nazi, den dürfen wir ja so bezeichnen, ohne dass man jetzt dann praktisch ein Gerichtsverfahren befürchten muss, weil das ist ja schon gerichtlich auch bestätigt worden. Und Ich glaube, das ist deutlich. Wir sind nicht in einer Situation wie vor 10, 15, 20 Jahren, wo Nazis in Springerstiefeln waren und man gesagt hat, das sind die Nazis, sondern tatsächlich die Rechtsextremen sind in der Gesellschaft angekommen, in der Mitte und wir müssen überall da auch Flagge zeigen. Das gibt auch in tatsächlich Organisationen, ob es die Feuerwehr ist oder ob es die Kirchengemeinde ist oder ob es auch die Gewerkschaft ist, die betriebliche Interessensvertretung. Wir müssen überall dann auch deutlich machen, nein, Wir wollen keine Rechtsextremisten bei uns haben. Irgendwann ist der Diskussionsstrang auch zu Ende, glaube ich. Also natürlich sollten wir uns mit Leuten auseinandersetzen. Aber ich bin immer dafür, dass wir versuchen, mit Wähler und Wählerinnen der AfD zu diskutieren. Aber wir brauchen nicht mit rechtsextremen Funktionären diskutieren. Ich glaube, die Zeit sollte man uns schenken für andere Aktivitäten, weil da kommt man nicht weiter.
Carmen Romano: Ja, danke Ihnen für die sehr starke Worte. Übrigens auch, weil Sie das angesprochen haben, dass die in der Mitte der Gesellschaft gekommen sind. Das gibt ja auch von der Böll Stiftung jedes zweite Jahr die Studie. Die packen wir auch in den Shownotes für diejenigen, die noch nicht davon gehört haben. Danke für ihre Arbeit vor allem, ihr Engagement. Ich würde wünschen, dass alle, die jetzt diesem Podcast zuhören, dann auf ihre Webseite gehen und sich anschauen, was in der Gegend passiert von Veranstaltungen, aber auch eben sich online informieren und einfach in ihren Alltag engagieren. Also herzlichen Dank, Herr Doll, für Ihre Zeit und dass wir uns heute trotz beider leichten Krankheiten getroffen haben. Das merkt man an unseren Stimmen. Das war jetzt die zweite Folge der diesjährigen Reihe zum Thema "Projekte gegen Recht", produziert von der Petra Kelle Stiftung in Bayern. Alle weiteren Folgen von Böll.Regional könnt ihr bereits in der Podcast App Eure Wahl nachhören.
Mandy Schielke: Wenn ihr mehr hören wollt, abonniert Böll Regional in der Podcast-App eurer Wahl, wie beispielsweise Apple Podcast, Spotify oder Soundcloud. Bei Fragen oder Anregungen schreibt uns einfach an podcast at boell.de. Wir hören uns nächste Woche wieder mit einer neuen Folge aus Niedersachsen.
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